© Solothurner Zeitung / NMZ; 2001-06-14; Seite 11a - Region SO

Leben unter dem alten Kirchendach

Stefan Moll*

Der Entscheid zur reformierten Kantonalkirche ist gefallen - und als Pfarrer einer anderen Kirche möchte ich ihn so auch gar nicht kommentieren. Und doch löst der Abstimmungskampf mit allen Diskussionen einige Fragen aus, über die sich alle Kirchen Gedanken machen müssen. Positiver Aspekt des Wahlkampfes sei «...dass wenigstens einmal über die Kirche diskutiert wird», hiess es. Das ist auch bitter nötig. Denn die Kirchen haben in den letzten Jahren oft den Kontakt zur Basis verloren. Nicht nur, dass die Gottesdienste immer schlechter besucht werden. Vielmehr nimmt das Interesse an der Kirchlichkeit ganz allgemein ab. Gleichzeitig sehnen sich viele Leute nach einer lebendigen Beziehung zu Gott, finden aber in den Kirchen selten einen Ort, an dem sie ihren Glauben entfalten können. So suchen sie eigene Wege. Die Ausbreitung der Esoterik und die diffuse Suche nach Sinn und Religion sind nicht nur Modeerscheinungen, sondern haben damit zu tun, dass die Kirchen an den Leuten vorbeileben. Anders gesagt: Die Einschaltquoten sinken.

Darum ist es notwendig, dass wieder über die Kirchen gesprochen wird. Aber nicht das Kirchendach ist das Thema, welches die Menschen interessiert. Jede Kirche muss sich überlegen, unter welchem Dach und mit welchen Strukturen sie leben will. Diese Fragen sollen aber möglichst rasch beantwortet werden. Strukturen für Kirchen sind eine Pflicht, die erledigt werden muss. Aber sie sind nicht das eigentliche Thema der Kirche und - wie ich finde - für die meisten Menschen völlig uninteressant und langweilig. Gut, dass man über die Kirche spricht, aber bitte nicht länger über deren Interna!

So hoffe ich für die Zukunft der Kirchen (nicht nur der reformierten), dass engagiert und heftig über sie gesprochen wird: Ich wünsche mir, dass die Kirche ins Gerede kommt wegen ihres Kampfes um Gerechtigkeit, wegen der kompetenten Hilfe von Menschen in notvoller Lebenslage. Ich wünsche mir, dass die Kirche ins Gespräch kommt für ihre lebensfrohen Gottesdienste. Ich wünsche mir, dass über Kirchen gesprochen wird, weil sie zur Versöhnung anstiftet und weil sie Sinn und Halt vermittelt. Ich wünsche mir, dass über die Kirchen hinaus vom Inhalt des christlichen Glaubens gesprochen wird und dass dieser Glaube erfahrbar wird und im Leben der Menschen verwurzelt ist. Neue Übersetzungen des Evangeliums in unsere Zeit wären nötig. Es ist ein Drama, dass so viele Leute den christlichen Glauben mit Langeweile verbinden anstatt mit Erfüllung und tiefem Glück.

Gut, dass die reformierte Kirche ihre Strukturdebatte hatte. Nun kann sie diese aber wieder beiseite legen und zu ihrer eigentlichen Sache zurückkehren.

* Stefan Moll ist Pfarrer der evangelisch-methodistischen Kirche Gerlafingen.

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