© Solothurner Zeitung / NMZ; 2001-06-02; Seite 15b - Kanton SO

Kommentar: Reformierter «Glaubenskrieg»

Aussenstehende verfolgen mit Verwunderung und schier ungläubigem Staunen, was sich derzeit unter reformierten Exponenten im Kanton abspielt. Der Abstimmungskampf über die Bildung einer reformierten Solothurner Kantonalkirche, über die am 10. Juni entschieden wird, erinnert zeitweilig an einen veritablen Glaubenskrieg.

B eide Seiten führen durchaus berechtigte, handfeste und auch nachvollziehbare Argumente ins Feld. Lange haben sich dies Gegner und Befürworter der Kantonalkirche auch gegenseitig attestiert. Je näher der Abstimmungstermin aber rückt, desto gehässiger und unversöhnlicher werden Ton und Haltung. Erneut zeigt sich, dass Toleranz und Nächstenliebe besonders dann schnell vergessen gehen, wenn es um «die Religion» geht.

Doch um «Religion» und «Glaube» geht es am 10. Juni zuletzt. Auch wenn manche Leserbriefe in den Zeitungen einen gegenteiligen Eindruck entstehen lassen könnten. Die Abstimmung entscheidet schlicht und einfach darüber, ob die Reformierten im Kanton - immerhin 450 Jahre nach der Reformation - eine eigene Kantonalkirche bilden. Zugegeben: Es ging bisher auch ohne. Allerdings schwerfällig genug, mit zum Teil mehrfach besetzten Parallelstrukturen. Hier könnten Kräfte freigemacht werden, die andernorts segensreicher einzusetzen wären.

Zweifellos liessen sich Wege finden, die bestehenden historischen Bindungen der grenz-überschreitenden Bucheggberger Gemeinden zur Berner Kirche auch in Zukunft nicht abreissen zu lassen. Denn eine Solothurner Kantonalkirche wird erst recht auf die interkantonale Zusammenarbeit angewiesen sein. Um so mehr könnte diese anderseits zur Stärkung des Zusammenhaltes im Kanton der auseinander driftenden Regionen beitragen. Diese staatspolitische Bedeutung des Projektes darf nicht über-, aber auch nicht unterschätzt werden.

Die Gegner sagen, die Kantonalkirche sei nicht finanzierbar, es komme deshalb zu einem massiven Leistungsabbau. Es wird darauf verwiesen, was der obere Kantonsteil derzeit von der Berner Kirche profitieren könne. Der Vorwurf ist naheliegend, dass da mitunter Argumente wie «Tradition» und «bewährte Bindungen» nur vorgeschoben werden, wo es letztlich um Eigeninteressen und die Erhaltung reichlich fliessender Quellen geht. Sicher: Eine reformierte Solothurner Kantonalkirche wäre wohl eine «arme» Kantonalkirche. Doch das sagt nichts darüber aus, wie reich sie wirken könnte.

URS MATHYS

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