© Solothurner Zeitung / NMZ; 2001-06-02; Seite 5a - Wirtschaft

Kostenwahrheit auf der Kirchenbank

Erster Benchmark-Vergleich reformierter Kantonalkirchen

Vor den reformierten Kantonalkirchen sind nicht alle gleich. Die Basler etwa zahlen durchschnittlich fast zehnmal mehr als die Berner, wie der erste Benchmark-Vergleich der Schweiz ergeben hat.

hansjörg ryser

Längst haben sich in der Privatwirtschaft Benchmark-Vergleiche etabliert, also der Leistungsvergleich mit branchenüblichen Standardwerten. Immer mehr werden solche Vergleiche auch im Non-Profit-Bereich oder in der öffentlichen Verwaltung angestellt. Seit zwei Jahren werden beispielsweise die Leistungen zwischen den regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) in den Kantonen verglichen und als Richtschnur für Bonuszahlungen durch den Bund herangezogen.

Der Ökonom Gunnar Paulsson beschäftigt sich beruflich mit solchen Vergleichen. Unter anderem entwickelte er für Unisys Management Consulting eine Methodik zur Berechnung der Kosten im Spitalwesen in der Schweiz für verschiedene Behandlungsmethoden, beispielsweise für eine Bandscheibenoperation oder eine Entbindung. Die Erhebungen basieren dabei auf den anerkannten Standards der beiden Harvard-Ökonomen Robin Cooper und Robert Kaplan.

Von 200 bis 20 Franken

Seit 20 Jahren lebt Paulsson in der Region Solothurn, wo er auch in der Kirchgemeinde aktiv ist und sich in der reformierten Kirche des Kantons Bern als Mitglied der Synode engagiert. Zusammen mit Hansjörg Nikles, Dozent an der Fachhochschule Solothurn Nordwestschweiz in Olten und Visura-Direktor Heinz Schürch war er deshalb beauftragt, die Wirtschaftlichkeit einer Kantonalkirche für den ganzen Kanton Solothurn, wie sie am 10. Juni zur Abstimmung kommt, zu berechnen.

Daraus erarbeitete Paulsson das erste Benchmarking für die reformierten Kantonalkirchen der Schweiz. Die Ergebnisse liegen überraschend weit auseinander. So wendet die Basler Kantonalkirche jährlich über 200 Fr. pro Mitglied auf, während die Solothurner, am Schluss der Tabelle, nach einem Zusammenschluss lediglich 20 Fr. pro Mitglied ausgeben würden. Die Berner Kantonalkirche, zu welcher bisher die oberen Solothurner Kantonsteile gehörten, geben einen Fünfliber mehr aus. Im Aargau sind es fast 35 Franken. Basel liegt deshalb so hoch, weil sich die Kosten der kirchlichen Gebäulichkeiten auf immer weniger Mitglieder verteilen.

Ein ganz anderes Bild ergeben die Gesamtbudgets, welche den Kantonalkirchen jährlich zur Verfügung stehen. So gibt etwa Zürich als Spitzenreiter 36,5 Mio. Fr. aus, Bern 19 Mio. und Aargau 7,4 Mio. Franken. Der künftigen Solothurner Kantonalkirche stünden 1,6 Mio. Fr. zur Verfügung. Errechnet hat Paulsson diese Beträge aus den Gesamtaufwendungen gemäss der Jahresrechnungen von 1999. Hinzu gezählt hat er Beträge und Leistungen, welche die einzelnen Kantone für die Kirche leisten. Abgezählt wurden davon Beträge, welche von den Kantonalkirchen an die einzelnen Kirchgemeinden gehen.

Solothurn fehlen 2 Mio. Fr.

Werden diese Resultate nun durch die Anzahl Mitglieder geteilt, können die Ausgaben pro Kopf ermittelt werden. Mit fast 750 000 Mitgliedern hat Bern einen entsprechend tiefen Durchschnittsbetrag, Basel Stadt mit nur 64 000 Mitgliedern einen entsprechend hohen. Deshalb kann Paulsson aus dem Resultat nicht ableiten, dass eine Kantonalkirche umso effizienter arbeitet, je kleiner sie ist. Auch hat eine mitgliederstarke Kantonalkirche nicht automatisch einen überproportionalen Verwaltungsapparat zur Folge.

Errechnet hat er hingegen die Kosten, welche einer Kantonalkirche ähnlicher Grösse aus einem vergleichbaren Leistungskatalog erwachsen. Diese Benchmark liegt laut Paulsson bei etwa 3,7 Mio. Franken. Damit, so sein brisantes Fazit, fehlen der Solothurner Kantonalkirche über 2 Mio. Fr., um ihren Mitgliedern künftig die gleichen Leistungen bieten zu können, wie sie von andern Kantonalkirchen erbracht werden. Für Spezialämter und Bildung stünden gerade mal 7,70 Fr. pro Mitglied zur Verfügung, während etwa Neuenburg über 30 Fr. einsetzen kann.

Zweifel an Vergleichbarkeit

In dieser Studie würden Äpfel mit Birnen verglichen, moniert Samuel Feldges, welcher sich für eine eigenständige reformierte Solothurner Kantonalkirche engagiert. Auch der Finanzverwalter der Aargauer Kantonalkirche, Christian Boss mahnt zur Vorsicht. Anhand von Paulssons Fragebogen habe er zwar keine Zweifel an der Seriosität der Studie gehegt, doch könnten die Querkosten trotz aller Vorsicht nur ungenau erhoben werden. So wende er selbst beispielsweise für die Beratung von Kirchgemeinden täglich bis zu zwei Stunden auf, ohne diesen Aufwand verrechnen zu können.

Stimmt, entgegnet Paulsson. Eine Schwankungsbreite von zehn Prozent sei deshalb zu berücksichtigen. Zweck dieser Studie sei aber nicht, bloss die Kosten zu vergleichen, sondern vor allem auch Hinweise auf die Leistungsfähigkeit zu geben. Tatsächlich könnte sich Willi Affolter, Finanzverwalter der reformierten Kirche des Kantons Zürich, vorstellen, dass damit eine Basis für Kooperationen und damit Synergien zwischen einzelnen Kantonalkirchen geschaffen würde, vorausgesetzt, dass dazu die Bereitschaft vorhanden sei.

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